125 Jahre alt wurde die Firma Ernst Pickhardt, eine Teppichgarnspinnerei in Derschlag. In der Klosterstraße 60, wurde das Jubiläum im familiären Kreise der Mitarbeiter gefeiert Die Firmengeschichte spiegelt ein wenig die Geschichte des Oberbergischen Kreises wieder, läßt das Auf und Ab der Textiler in Ihren Fabriken erkennen.
Schon der Vater des Gründers, Christian Pickhardt, aus Hülsenbusch, begann seine Tätigkeit als Textiler. Am 24 Februar 1820 kaufte er von einem Baumwollfabrikanten das Fabrikgebäude, das heute den ältesten Teil – der Tapetenfabrik – Pickhardt & Siebert in Gummersbach darstellt. Dort betrieb er eine Tuchfabrik.
Im Jahre 1854 übernahm sein Sohn Ernst Wilhelm Pickhardt sen.das Gebäude und gründete die Wollspinnerei. Er stellte einen Reißwolf auf, mittels dem Stofflumpen wieder spinnfähiq gemacht werden konnten. Mit diesem preiswerten Fabrikat eroberte er den Markt, und bis Ende der 60er Jahre wuchs die Zahl der Spinnspindein von 200 auf 4000.
In heißen und trockenen Sommermonaten reichte die Wasserkraft der kleinen GummersBACH nicht aus. Eine Dampfmaschine zum Antrieb wurde angeschafft. Es war dies die erste ihrer Art im Oberbergischen. Der Betrieb vergrößerte sich weiter. Wilhelm Bernhard Siebel, langjähriger Buchhalter in der Firma wurde als Teilhaber aufgenommen, wodurch eine zweite Produktionsstätte in Hammerhaus bei Dieringhausen angegliedert
werden konnte.
Dem Aufstieg folgten Kriegs- und Krisenjahre in 1866 und die Gründerjahre nach dem siegreichen 70er Krieg. Die Stricker und Wirker legten sich eigene Spinnereien zu, das Kammgarn kam auf. 1877 trennte sich Ernst Wilhelm Pickhardt sen. von seinem Teilhaber und nahm seinen Sohn Ernst Heinrich als technischen und seinen Schwiegersohn Rudolf Siebert (verh. mit Emilie und Mina Pickhardt) als kaufmännischen Leiter auf.
Um in dem wechselvollen Auf und Ab konkurrenzfähig zu bleiben, mußten neue Maschinen angeschafft werden. Aus Platzgründen wurde im Jahre 1907 das Fabrikgebäude im Kloster gekauft, das am 04.12.1912 durch eine Feuerbrunst vernichtet wurde.
Ende 1913 war die neue Produktionsstätte wieder betriebsbereit. In diesem Jahr starb der Sohn des Gründers (Ernst Heinrich Pickardt).
Sein Teilhaber Rudolf Siebert nahm seine Söhne Paul und Arthur Siebert in die Geschäftsführung auf.
Der Erste Weltkrieg brachte zwar Aufträge für Militärdecken, doch die Rohstoffe waren rar. Die Inflationszeit und die Wechselhaftigkeit der Mode brachten Schwierigkeiten, bis sich die Firma auf Garne für die Teppichindustrie Im Jahre 1928 umstellte. Wieder unterbrach der Krieg . Die Entwicklung, forderte eine Produktionsumstellung auf Kriegsbedarf – Garne für Militärdecken und fe1dgraue Uniformen.
1944 mußte per Kriegsanordnung der Betrieb für den Panzerbau geräumt werden. Nach großen Mühen konnte erst im Frühjahr 1946 die Produktion -. wieder aufgenommen werden. Der ersten Aufwärtsentwlcklunq folgten schon bald die Jahre der Rezession. Das Teppichgarn wurde durch Billigangebote und Minderqualität vom Markt gedrängt. Hinzu kam, daß Ende – 1965 die geschützten deutschen Patente ihren Schutz verloren.
Fast die Hälfte der Arbeiter mußten in Derschlag entlassen werden. Doch mit Hilfe neuer Maschinen ging es weiter. Heute existiert das Unternehmen nicht mehr.
Ausschnitt aus Jürgen Woelke’S (Kapital war nötig)
….Christian Pickhardt erringt neben einem bescheidenen Wohlstand auch die Achtung seiner Gummersbacher Mitbürger. Obwohl von auswärts gekommen, wählt man ihn 1836 zum Bürgermeister, er bleibt es bis 1844. Damals muß er wohl in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sein, denn 1852 kommt es zur Versteigerung. Sein Sohn Ernst Wilhelm Pickhardt, der es in Langerwehe (bei Düren) zu einer eigenen kleinen Spinnerei gebracht hat, kommt in die Heimat zurück und ersteigert das väterliche Anwesen im Jahre 1853 für 2 301 Taler.
Er ist ein unternehmender und einfallsreicher Mann, hat sein Metier gut erlernt und bringt überdies neue Ideen aus der Ferne mit. Ein erstaunlicher Aufstieg beginnt. Mit Bezug auf den Landkreis Gummersbach schreibt B. Baldus in seiner Dissertation 13: »Mit Ernst Pickhardt hat das Kunstwollverspinnen hier seinen Einzug gehalten.« Denn schon bald übernahm Ernst Wilhelm Pickhardt von dem Friedrichstaler Knopffabrikanten Müller einen Reißwolf und ersetzte fortan die Wolle teilweise durch aus Lumpen gewonnene Kunst- oder Reißwolle. Der finanzielle Erfolg Pickhardts war enorm, und zwar so enorm, daß er die Zahl seiner Spindeln von 200 im Jahre 1851 auf über 4 000 im Jahr 1867 steigern konnte. Damit stand er an der Spitze im ganzen Landkreis. Der Anlagewert dieser 4 000 Spindeln betrug die staunenswerte Summe von über 380 000 Mark! Das weckte natürlich Nachahmer, und bald war das Kunstwollverspinnen derart in Mode gekommen, daß »jeder, der gern schnell reich werden wollte«, wie ein Zeitgenosse von damals, der Derschlager Lehrer Braeucker, mißbilligend anmerkt, »sich einen Rundstuhl anschaffte und Kunstwolle darauf verdrehte«.
Sein abschließendes Urteil — »aber doch hat die Kunst es so weit noch nicht bringen können, aus Kunstwolle solide Waare zu verfertigen« — erweist sich als falsch: Gerade der Kunstwolle verdankt die Gummersbacher Textilindustrie zu einem wesentlichen Teil ihren Aufstieg. Im gleichen Jahrzehnt noch, in dem Ernst Wilhelm Pickhardt im Oberbergischen die Kunstwolle einführte, machte er ein zweites Mal Industriegeschichte für unseren Raum: Das schon damals recht spärliche Rinnsal — der Gummersbach genannt — zwang in heißen Sommern immer wieder dazu, die versiegende Wasserkraft durch Muskelkraft zu ersetzen; Arbeiter mußten die Maschinen mit Hand drehen. Finanziell besser ausgestattet als seine Vorgänger und wohl auch seine Konkurrenten (die Kunstwolle machte es möglich!), wagte er sich um 1858/59 daran, sich vorn Wasserstand des Gummersbach-Bächleins unabhängig zu machen, indem er eine Dampfmaschine aufstellte — die erste weit und breit und bei den damaligen Kohlenpreisen und Transportschwierigkeiten eine wirklich mutige Tat!
Noch 1863 waren erst fünf Dampfmaschinen mit insgesamt nur 50 PS im ganzen Kreis vorhanden; 1875 hingegen gab es bereits 42 entsprechende Anlagen, davon 24 in der Textilindustrie 16. 1861 kauft Ernst Pickhardt das »Etablissement Hammerhaus« bei Dieringhausen und errichtet hier zusammen mit einem Teilhaber einen Zweigbetrieb. Nach einer städtischen Gewerbeübersicht (Akte 4288) haben die beiden Spinnereien von »Ernst Pickhardt et Comp.« im Jahre 1876 zusammen über 150 Beschäftigte — nahezu doppelt so viel wie das zweitgrößte Unternehmen der Stadtgemeinde, die Baumwollspinnerei Barthels in Derschlag . Im folgenden Jahr, also 1877, treten Sohn Ernst Heinrich Pickhardt. als technischer und Schwiegersohn Rudolf Siebert als kaufmännischer Leiter in die Geschäftsführung ein. Sie bauen das Unternehmen weiter aus und steuern es durch die sehr schwierigen letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts: von den 60 deutschen Kunstwollspinnereien des Jahres 1890 bestehen nach acht Jahren nur noch 3217. Als zu Anfang unseres Jahrhunderts die alten Mule-Jenny-Spinnmaschinen allenthalben durch moderne Selfaktoren ersetzt und auch breitere Krempelma-schinen erforderlich werden, kann diese Modernisie-rung nicht mehr in den alten Gemäuern in der Winterbecke durchgeführt werden: Die Werksäle sind zu schmal, die Decken nicht tragfähig genug.
Anmerkung :
Als 1907 die Spinnerei C. W. Schirp in Kloster bei Derschlag zum Verkauf ansteht, wird zugegriffen und der gesamte Betrieb modernisiert und nach dort verlagert. Damit geht in der Winterbecke eine fast 100jährige Textiltradition zu Ende, in Kloster aber wird eine fast ebenso alte bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Die alten Spinnereigebäude in der Winterbecke werden von der benachbarten Tapetenfabrik Pickhardt & Siebert übernommen, die sich, knapp 30 Jahre zuvor von den oben erwähnten rührigen Spinnereibesitzern gegründet, von kleinsten Anfängen zu einer der führenden Tapetenfabriken 18 Deutschlands, ja des Kontinents emporgeschwungen hatte und diese Stellung bis heute bewahren konnte.
Die Stadt Gummersbach mit den Bauerschaften Rospe und Bernberg erhielt erst am 18. Mai 1857 städtische Rechte. Es wurde aber schon ab dem 14. Januar 1826 ein städtischer Vertreter in den Provinziallandtag geschickt. Gummersbach wählte gemeinsam mit den Orten und Städten Deutz, Mülheim am Rhein, Gladbach, Wipperfürth, Siegburg und Königswinter in einer Gruppe. Die gewählten Vertreter dieser Orte bestimmten anschließend einen Abgeordneten und einen Stellvertreter für die ganze Gruppe. Erstmalig fand eine Wahl in Gummersbach im März 1826 unter dem Vorsitz von Bürgermeister Anton Heuser statt. Auch in das preußische Abgeordnetenhaus und zum Deutschen Reichstag entsandte Gummersbach Abgeordnete.
1892 erhielt die Stadt Gummersbach ein eigenes Wappen: Links in Blau in gespaltenem Schild eine silberne Spindel, rechts in Gold einen von Rot und Silber zu drei Reihen geschachten Balken. Über dem Schild eine graue dreitürmige Mauerkrone mit einem Tor im Mittelturm. Der geschachte Balken ist dem Wappen der Grafen von der Mark entnommen und erinnert an die mehrere Jahrhunderte währende Zugehörigkeit Gummersbachs zur Grafschaft Mark. Auch die Farben stimmen mit dem Wappen der Grafen überein.
Die Spindel links im Wappen verweist auf die gewerbliche und industrielle Tätigkeit, der Gummersbach seine wachsende Bedeutung im 19. und 20. Jahrhundert verdankt. Anfangs war Spinnen und Wirken in Gummersbach nicht so verbreitet wie etwa in Bergneustadt. Erst 1813 wurde dort die kleine Sondermannsche Seiden- und Siamosenmanufaktur begründet. Jedoch erlangten um 1850 die Betriebe von Ernst Pickhardt und Wilhelm Müller eine führende Stellung. Müller richtete 1856 in seinem Friedrichsthaler Betrieb die erste einheimische Kunstwollspinnerei ein. Kurz vorher hatte er den modernen Rundstuhl eingeführt. Ernst Pickhardt sen., der sein Gechäft 1854 eröffnet hatte, verarbeitete auch frühzeitig Kunstwolle. 1867 verfügte er mit 4000 über die höchste Spindelzahl im Oberbergischen.